Sprung in die Stadt: Chişinău, Sofia, Pristina, Sarajevo, Warschau, Zagreb, Lyubliana, Kulturstiftung des Bundes, Germany

 

Wachsfiguren

Alexandru Vakulovski

 

Personen
Sohn
Vater
Wladimir Iljitsch Lenin, erster Präsident der Sowjetunion
Gorbatschow, letzter Präsident der Sowjetunion
Kind 1
Kind 2
Mircea Snegur, erster Präsident der Republik Moldova
Petru Lucinschi, zweiter Präsident der Republik Moldova
Wladimir Woronin, dritter Präsident der Republik Moldova
Igor Smirnow, ein selbsternannter Präsident von Transnistrien, eines Teils von Moldova
Ion Iliescu, ein Präsident Rumäniens, heute Rentner
George W. Bush, ein Präsident der USA
Postbote

Alle Präsidenten können von ein und demselben Schauspieler dargestellt werden. Der Schauspieler trägt ihre Masken. Die Masken werden von Alexandru Vakulovski aus Pappe gefertigt und haben die groben Züge der Präsidenten. Auch wenn die Parts der Präsidenten fiktiv erscheinen, besteht ihr Text im Allgemeinen doch aus Fragmenten tatsächlich gehaltener Reden und wahren Begebenheiten. Sohn, Kind 1 und Kind 2 werden von Kindern bzw. von Erwachsenen mit Kinder-Gebärden und in Kinder-Kleidung dargestellt. Der Vater wird von einem Teenager gespielt.

 

Szene 1

Sohn: Am Anfang brach die Sowjetunion zusammen. Damals glaubte ich so sehr an sie, dass ich nicht mehr wusste, was ich tun und an was ich glauben sollte. Die Freiheit, auf die ich so stolz war, entpuppte sich als Sklaverei, der Kommunismus – ein schönes Märchen voller Alpträume nach Einbruch der Nacht, das sowjetische Volk – eine Missgeburt ihrer Schöpfer im Fieberwahn.

Auftritt Wladimir Iljitsch Lenin.

Lenin: Fickt euch ins Knie, ihr Arschlöcher. Die verfaulte Bourgeoisie wird eure Kinder zu Sklaven machen und töten. Ihr werdet den Blutsaugern den Schwanz lutschen und ihnen in den Arsch kriechen. Ihr fandet es scheiße, dass ich euch nach Sibirien geschickt habe? Jetzt helft ihr bei der Erdbeerernte. Ihr fandet es scheiße, dass ich die verfickten kapitalistischen Intellektuellen zu eurem Wohl erschossen habe? Jetzt wischt ihr ihnen den Arsch ab. Wir standen kurz davor, das Ideal in die Wirklichkeit umzusetzen. Jetzt kriegt ihr genau das, was ihr verdient, einen Scheißdreck.
Sohn: Dann kam Gorbatschow, ein Scheiß von einem Präsidenten, und hat alles zerstört. Dafür wurde er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Verrat verdrängt Aufrichtigkeit und wird gut bezahlt.

Auftritt Gorbatschow.

Gorbatschow: Genossen, es handelt sich lediglich um eine Restrukturierung. Die Perestroika …

Jemand wirft ihm einen Stein oder ein Ei an den Kopf und Gorbi zieht sich zurück.

Sohn: Die Republik Moldova wurde ein souveräner, unabhängiger Staat. Schnell haben sich die Genossen in beschissenen Cliquen neu formiert: Neokommunisten und Nationalisten oder noch besser – Neonazis. So mancher Genosse wechselte mehrfach das Lager: Snegur, Lucinschi, Woronin.
Alles ist verfault. Am fernen Horizont, nur ein paar Schritte weiter, geht die neue Welt des wilden Kapitalismus auf.

 

Szene 2

Auftritt Mircea Snegur, erster Präsident der Republik Moldova.

Mircea Snegur: Ich bin Mircea Ivanovici Snegur und dumm wie ein Ochse. Tatsache ist, ich war Präsident der Republik Moldova, aber darauf kommt es nicht an. Ich bin Agrarwissenschaftler und unter Schweinen und Ochsen zu Hause. Weder in der Bauernpartei noch bei den Demokraten fühlte ich mich wohl, noch bei den – ah, wie hießen sie gleich, aber darauf kommt es nicht an.
Als Präsident – des Staates, nicht der Kolchose – führte ich Krieg gegen Transnistrien. Transnistrien ist auch Moldova. Als Kolchosenpräsident musst du ab und zu ein Schwein, eine Kuh schlachten und kastrieren … und als ordentlicher Staatspräsident musst du Krieg machen, Scheiße. Die Idioten erschossen sich gegenseitig, ich und Smirnow aber, Scheiße, nicht der Wodka-Smirnoff, sondern Igor, der Präsident Transnistriens, erzählten uns am Telefon Witze.
Es ist ein geiles Gefühl, Präsident zu sein, Kühe zu ficken und Schweine zu schlachten. Tagtäglich zu lügen und dafür Applaus einzuheimsen. Ihr könnt euch vorstellen, die Kühe weinten, als ich nicht wiedergewählt wurde. Sie wollten weiter gefickt werden.
Stattdessen wurde mein Freund gewählt – Petika Lucinschi. Manchmal sitzen wir bei Schaschlik und Wodka zusammen und plaudern über Ochsen: Was warst du doch für ein Ochse! – Und du erst!
Der Krieg ist vorbei, irgendwie. Wir haben gewonnen, Bender besetzt – eine Stadt auch in meinem Land. Dann erhielt ich einen Anruf von den Russen. Sie sagten, dass ich meine Truppen schleunigst zurückziehen soll, dass sie die 14. Armee losschicken und dann sitzt Moldova tief in der Scheiße. Was hätte ich tun sollen? Ich sagte meinen Ochsen, sie sollen sich zurückziehen. Sie waren zwar angepisst, zogen sich aber zurück.
Meine Damen und Herren, Genossen, ich bin Mircea Snegur, erster Präsident der Republik Moldova, bin ein Ochse, und der Krieg, den ich begonnen habe, ist noch nicht vorbei.

 

Szene 3

Wohnzimmer. Der Vater liest. Man hört die Stimme des Sohnes.

Sohn: Mama!

Der Vater sieht hilflos um sich, kratzt sich, liest weiter.

Sohn: Mama, wo ist mein T-Shirt mit der Katze? Oder das mit der Frau und dem Mond?
Vater: Hast du unter dem Stuhl nachgesehen?

Der Vater putzt seine Brillengläser, fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Sohn tritt auf.

Sohn: Gibt es was Neues von ihr?
Vater: Nein.

Der Vater holt eine Flasche Wodka, trinkt.

Sohn: Ich nehme etwas Milch. Und auch ein Sandwich.

Der Sohn gießt sich ein Glas Wodka ein, zündet eine Zigarette an. Der Vater zerreißt das Buch, wirft es auf den Boden. Nimmt die Flasche Wodka und trinkt, zertritt seine Brille.

Jemand klopft an die Tür. Der Sohn öffnet.

Sohn: Mama!

Es ist Mircea Snegur in der Uniform eines Postboten.

Mircea Snegur: Hier, ein Brief für euch.

Der Vater packt ihn am Kragen und drückt ihn mit Gewalt auf einen Stuhl.

Vater: Du hast ihn gebracht, du liest ihn auch vor.
Mircea Snegur: Genossen, meine Herren, ich bin doch nur ein einfacher Postbote …
Vater: Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Vorlesen, du verlogene Hure!

Mircea Snegur öffnet den Brief und liest. Er hat die Stimme einer Frau.

Mircea Snegur: Meine Lieben, ich bin letzte Woche hier angekommen, aber jetzt erst habe ich Arbeit gefunden. Es ist nicht so schlecht. Bei der Grenzkontrolle wurde ich fast erwischt, als man meinen Name ausrief und ich gerade an was anderes dachte. Ich hatte vergessen, dass ich mit einem falschen Pass reise und anders heiße. Aber ich habe es noch rechtzeitig gemerkt, und sie haben mich durchgelassen.
Bis jetzt wohnte ich bei Liuba, unserer Nachbarin. Sie ist sehr freundlich zu mir und hat eine Dame gefunden, die ich pflege. Die Frau ist etwa achtzig Jahre alt und gelähmt. Sie spricht kaum. Eigentlich spricht sie gar nicht. Aber ich erzähle ihr die ganze Zeit etwas. Sie wimmert. Wenn sie wimmert, hat sie in die Hosen gemacht, und ich muss sie abwischen, waschen und ihre Windeln wechseln. Die Arbeit ist nicht besonders schwer, bloß wimmert sie die ganze Zeit und die Fenster müssen immer geöffnet bleiben.
In zwei Wochen kriege ich Geld und schicke es euch, damit ihr die Schulden zurückzahlen könnt. Ich bleibe noch einige Monate hier, bis wir die Schulden los sind.
Und wie geht es euch? Ich habe große Sehnsucht nach euch. Wenn ich daran denke, dass ich nichts tun kann, um euch zu sehen, wird mir ganz kalt ums Herz.
Ich umarme euch. Passt auf euch auf.
Mama

Der Vater sieht den Postboten wütend an.

Vater: Spielen wir jetzt Post, oder was?

Alle erstarren. Auftritt Wladimir Iljitsch Lenin.

Lenin: (zum Publikum) Tag, Genossen. Warum so erstaunt? Habt ihr gedacht, ihr seid mich los? Ihr werdet mich nie los!
In euren Herzen lebe ich weiter, jede abgestorbene Zelle in euch wird durch mich ersetzt. Die Revolution glimmt weiter in den gequälten Seelen der Bauern, der Proletarier, der Lehrer, die schon gar nicht mehr wissen, wie das ist, wenn man sein Gehalt pünktlich bekommt, der Ärzte, deren Seelen in Formalin ertrunken sind.
Wollt ihr behaupten, dass ihr keine Bauern mehr seid? Was seid ihr dann, Außerirdische? Wer ist denn dein Vater, wer ist dein Großvater? Du bist ein beschissener Bauer, verdammt noch mal! Gehört ihr jetzt alle zur Bourgeoisie und macht euch über die Bauern lustig, ihr Bauern?
Deshalb gibt es die Revolution. Reine Prophylaxe. Von zehn faulen Eiern werfen wir neun weg, und das zehnte schicken wir dann umgehend nach Sibirien. Verrecken soll die stinkende Bourgeoisie, Genossen! Wir treten ihnen in den Arsch. Weil sie ohnehin nur dumme Bauern sind. Wir müssen sie vom Erdboden ausradieren. Wir erschießen und strangulieren sie, wir ficken sie mit dem Messer in den Hals.
Da zdravstvuiet Revaliuzia – Es lebe die Revolution!

 

Szene 4

Auftritt Petru Lucinschi, zweiter Präsident der Republik Moldova.

Lucinschi: Tag, Genossen. Ich bin Piotr Kyril’ci Lucinschi, Präsident der Republik Moldova. Ich war Nachfolger dieses Hornochsen, meines Nachbarn, Mircică Snegur. Er wird auch Snegurocica genannt, die gute Fee. Mich nennt man auch Petika oder Luci, der Stecher. Auch ich bin dumm wie ein Ochse. In Kasachstan war ich Erster Staatssekretär der Kommunistischen Partei. Ich bin schon seit langem Teil des Systems, nicht so wie Mircică, dieser großkotzige Agronom.
Meine Karriere habe ich bei den kleinen, schlitzäugigen Kasachen gemacht. Ich hatte Gefallen am Regieren gefunden und dachte mir: Warum soll nicht auch ich Präsident der Republik Moldova werden? Weil es ganz einfach ist.
Ich hatte meine Jungs aus Moskau dabei und Unmengen von Weißkohl, klebte meine Wahlplakate, kaufte die Wahlbeobachter samt ihrer Sippschaft, verteilte an die Idioten ein Päckchen Zucker, einen Laib Brot und etwas Reis, und, scheiße, ich gewann. Es war ganz einfach – im Ernst.
Dann habe ich überlegt, was ich aus diesem Land herausholen kann. Ich habe meine Schulden bezahlt, meine Zukunft und die meiner Enkel abgesichert, ich habe meinen Schwanz in das Land gesteckt. Echt gut gelaufen! Soll Woronin ruhig auch mal Präsident sein. Wenn’s ihm Spaß macht.
Ich freue mich, dass das Business, das ich gestartet habe, auch jetzt noch gut läuft in Moldova. Eine Moldawierin für ein Schaf. Nimm eine Moldawierin und sag ihr, du bringst sie nach Spanien, Deutschland oder Italien – roll’ sie in einen Teppich, rein in den Kofferraum, und sie erwacht in Kasachstan, Turkmenistan oder Usbekistan. Dort findet die Transaktion statt. Ist sie gut, wird sie gegen ein Kamel getauscht, ist sie nur so lala, gegen ein Schaf. Manchmal entwischt eine und erzählt dann, was ihr passiert ist. Fast jede Woche erscheinen Interviews mit Augenzeugen. Inzwischen haben die Journalisten genug von diesem Thema und berichten kaum noch.
Es erfüllt mich mit Stolz, dass die zu meiner Zeit begonnene Tradition weiterhin gepflegt wird und Profit bringt. Ich war nicht umsonst Präsident.
Macht’s gut, ich hau ab. Tschüss.

 

Szene 5

Viele Kinder stehen in einer Schlange und benehmen sich wie Erwachsene. Unter ihnen befindet sich auch der Sohn. Die meisten von ihnen sind aufgeregt, einige tragen Dokumente unter dem Arm.

Kind 1: Hast du das Visum schon beantragt?
Sohn: Ja.
Kind 1: Wo willst du denn hin?
Sohn: Weiß nicht genau. Zu Mama nach Deutschland vielleicht.
Kind 1: Und wie lange hast du auf die rumänische Staatsbürgerschaft gewartet?
Sohn: Drei Jahre.
Kind 1: Hast du es noch nie mit einem Visum oder mit dem moldawischen Pass versucht?
Sohn: Nee … Ich hab einmal versucht, mit einem Visum zu einem Fußballspiel einzureisen – sie haben mich aber abgewiesen. Dann hab ich’s noch einmal für eine kleine Reise probiert – nichts. Es wäre besser gewesen, als Schwarzer auf die Welt zu kommen.
Kind 1: (lacht) Ja klar, wegen der positiven Diskriminierung.
Sohn: Wäre cool gewesen. Ich wäre herumgereist. Ist echt scheiße, gleich im doppelten Ghetto zu leben. Einmal im Ostblock, postkommunistisch, alle haben Schiss vor uns, meiden uns, dann auch noch im rumänischen Ghetto – als ob wir die Neger Rumäniens wären. Scheiß auf die rumänische Staatsbürgerschaft – ich nehm den Pass und hau ab.
Kind 1: Scheiß auf die Demokratie und den Kapitalismus. Zuerst hat uns Stalin hinter Stacheldraht gehalten, damit wir bloß nicht rauskönnen aus der UdSSR, und jetzt lassen sie uns nicht in ihr beschissenes Europa rein. Ich kapier das alles nicht.
Sohn: Wir werden es ihnen schon zeigen.
Kind 1: Glaubst du das wirklich?
Sohn: Ja, in ein paar Jahren kriegen sie Gewissensbisse und Komplexe. Wir werden ihre Schwarzen sein. Und positiv diskriminiert werden. Dann ficken wir sie alle. (Zeigt den erhobenen Mittelfinger)

Kind 2 nähert sich.

Kind 2: Hey, verkauft ihr mir einen Platz in der Schlange?
Kind 1: Wie viel zahlst du?
Kind 2: 200 Euro.
Kind 1: Bisschen wenig.
Kind 2: 350 Euro.
Kind 1: Okay.

Kind 2 holt 300 Euro hervor und gibt sie ihm. Kind 1 tritt zur Seite und flüstert dem Sohn ins Ohr.

Kind 1: Lasst uns heute Abend was rauchen.
Sohn: Okay, ich ruf an.
Kind 1: Ciao. Ich hab zwar nichts vor, aber ich hau jetzt ab.

Auftritt Ion Ilici Iliescu, ehemaliger Präsident von Rumänien. Er spricht zu den Kindern, aber niemand beachtet ihn.

Iliescu: Was sucht ihr hier, ihr dummen Esel? Ich bin in Moskau auf die Schule gegangen, nur so konnte ich Ceauşescu reinlegen. Das war die Schule des Lebens, nicht die wirkliche Schule, wo ich an Englisch gescheitert bin. Scheiß auf ihr Englisch. Auch dieser Seefahrer von einem Präsidenten, Băsescu, kann’s nicht. Wir zwei verstehen uns aber. Denn der hat Englisch gelernt, als er noch Schiffskapitän war, von den Gepäckträgern und Touristen, die keine Ahnung von Englisch hatten.
Denkt ihr eigentlich, dass wir sonst nichts zu tun haben? Dass wir Moldova brauchen? Was sollen wir damit? Ihr gehört zu keinem, weder zu uns, noch zu ihnen. Los, haut ab, verschwindet nach Hause, worauf wartet ihr noch? Habt ihr noch nicht kapiert, dass eher ein Stuhl die rumänische Staatsbürgerschaft erhält als ein Rumäne aus Moldova? Geht’s euch schlecht?
Ich werde die Bergarbeiter rufen, und wir werden Rumänien von euch säubern. Die verprügeln euch mit ihren Knüppeln. Ach so, ihr habt Kalaschnikows und Granaten? Glaubt ihr wirklich, dass Putin mir keine gibt, um euch Arschlöcher von der Grenze fortzujagen? Er wird es tun, er wird. Wir sind schließlich Kollegen.
Los, haut ab, verschwindet nach Hause. Wir brauchen euch nicht.

Kind 2 nähert sich Ion Iliescu.

Kind 2: Hör zu, nimm hier die 300 Euro und bring mich in dieses Büro rein.
Iliescu: Ach so, das ist natürlich etwas anderes, Genosse. Lass uns gehen. Hast du Wodka?

Iliescu will an der Menge vorbei, aber alle drehen sich zu ihm um und bespucken ihn. Er bleibt stehen.

 

Szene 6

Auftritt Wladimir Woronin, dritter Präsident der Republik Moldova.

Woronin: Ich heiße Wladimir Nikolaevici Woronin, bin KGB-General und außerdem Präsident der Republik Moldova. Scheiße, ich steh auf Tradition. Ich steh auf Kognak, Wein, Wodka und Schaschlik. Weil die Kommunistische Partei für illegal erklärt wurde, wie zu Zeiten von Väterchen Wladimir Iljitsch, gründete ich die Partei der Kommunisten. Scheiße, ich bin schlau, ich hab sie verarscht, und die können mir nichts tun. Ich bin sogar Präsident der Republik geworden. Nicht, dass ich mich beim KGB gelangweilt hätte, aber die Zeiten ändern sich und man muss andere Methoden anwenden, andere Techniken, um die Deppen zu dressieren und zu manipulieren, Scheiße.
Ich baue öfter mal Scheiße, leckt mich doch, ihr Wichser, bin ja nicht dümmer als Mircică und Petika. Aber ich bin aus härterem Holz geschnitzt als sie. Die ganze Zeit ärgere ich mich mit den moldawischen Nazis herum, aber bei den Wahlen stimmen sie doch für mich, und wiederum werde ich Präsident. Weil wir aus derselben Scheiße gemacht sind. Auch sie, diese Ochsen, sind genauso wie ich. Sie mögen den KGB und sie streiten gern mit mir rum. Die Massen sind noch einfacher zu bescheißen. Ich senke den Preis für Brot um fünf Cent, und sie küssen mir den Arsch und erklären mich zum Nationalhelden. Geil.
Ich verarsche dieses Land, wie ich will. Das Volk liebt mich. Es braucht mich sehr. Ich habe ein bisschen Land an die Ukraine abgetreten – gratis, auf so eine Idee wäre sonst niemand gekommen. Ich bin stolz darauf. Anstatt zu kämpfen und einen über den Schädel zu kriegen, gebe ich es ihnen lieber umsonst. Ich schieße mir doch nicht selbst ins Knie, wie dieser Hornochse Snegur. Ich bin der größte Macker auf dem Acker.
Zugegeben, manchmal fickt mich Smirnow, diese Tunte von Transnistrien. Bin dort geboren, in Transnistrien. Meine Mutter ist dort geblieben. Immer wenn ich sie besuchen will, lässt mich Smirnow nicht rein. Auch er ist KGB-General, dieser Hurensohn. Ich habe den Moldawiern versprochen, das Transnistrien-Problem zu lösen. Andererseits, wenn ich diesen Scheiß auch noch lösen würde, was hätte ich dann noch zu tun? Nichts. Ein bisschen tue ich was dafür, übertreibe es aber nicht damit. Vielleicht bleibe ich Präsident auf Lebenszeit, wie früher. Wie Lenin, wie Stalin …
Ich habe alle dazu gebracht, mich zu lieben. Sie lieben mich bis zum Gehtnichtmehr. Überall hängen meine Porträts: in Schulen, Büros, Rathäusern, in Kinos, bei der Polizei und beim Militär. Mal sehen, vielleicht errichte ich mir demnächst Denkmäler. So, wie es in den Versen von Puschkin heißt: „Ia pamiatnik sebe vozdvig nerukatvornai“ – „Ich habe mir ein Denkmal gesetzt, aber nicht von Menschenhand“. Alles klar?
Ich bin zwar Kommunist, aber ich will, dass Moldova in die EU eintritt. Diese Scheißkapitalisten sollen bluten. Ich muss für meine Zukunft und die meiner Familie sorgen. Wie Väterchen Lenin sagte: Die Familie ist die Urzelle der Gesellschaft. Trotzdem, und wie ich schon sagte, noch bevor ich Präsident wurde: Die Moldova-Trikolore ist eine Nazi-Fahne. Weil sie dieselbe ist wie bei den Rumänen. Wir brauchen keine rumänische Fahne. Die zu Zeiten der UdSSR war besser, mit Rot und Grün. Ich sag es wieder, tut mir leid, es wird mir verziehen, und die Massen lieben mich umso mehr für meine Aufrichtigkeit. Alles wird verziehen, absolut alles, Scheiße. Und jetzt leckt mich alle. Verzeihung.

 

Szene 7

Der Sohn und Kind 1 sind in einem Zimmer und rauchen einen Joint.

Sohn: (nachdem er einen Zug genommen hat) Hör mal, ich glaube, ich gehe nach Amerika. Wenigstens für ein paar Jahre.
Kind 1: Aha, Amerika.
Sohn: Ja, soll super sein.
Kind 1: Aha.
Sohn: Freunde waren letzten Sommer dort, und sie erzählten, dass man nicht groß arbeiten muss. Nur Cola und Hot Dogs verkaufen, und dann kannst du machen, was du willst.
Kind 1: Aha, Amerika, super. Total geil.
Sohn: Und nachdem du einige Stunden gejobbt hast, kannst du Spaß haben, wie du willst.
Kind 1: Gras, ja.
Sohn: Ja, Gras bis zum Abwinken. Jeder raucht. Alle sind high. Alle haben rote Augen und sind happy.
Kind 1: Geil ist es in Amerika, ja.
Sohn: Wenigstens in den Sommerlagern.
Kind 1: Im Lager, ja.

Von irgendwo hinten taucht George W. Bush auf. Er trägt einen Cowboyhut und hat ein Maschinengewehr. Er schaut ihnen zu und dreht sich einen Joint.

Sohn: Selbst ihr Schwachkopf von einem Präsidenten hat zugegeben, Gras geraucht zu haben. Während der Wahlkampagne.
Kind 1: Er hat Gras während der Wahlkampagne geraucht? Cool.
Sohn: Scheiße, nein. Während der Wahlkampagne hat er zugegeben, dass er als Student Gras geraucht hat.
Kind 1: Er war wohl sehr stolz darauf. Bush, fuck Bush.
Sohn: Diese Freunde von mir meinten, dass sie kaum geschlafen haben. Sie rauchten nonstop und hatten Spaß. Sie kamen mit einem Haufen Dollars zurück.
Kind 1: Und was haben sie damit gemacht?
Sohn: Sie sind nach Chişinău zurückgekehrt, normal. Was sollten sie sonst tun? Sich verhaften lassen?
Kind 1: Scheiße, mit dem Geld, meine ich.
Sohn: Auf den Kopf gehauen, normal.
Kind 1: Und sie gehen wieder hin.
Sohn: Ja, diesen Sommer. Vielleicht gehe ich mit.
Kind 1: Ich will auch mit.
Sohn: Dann komm.

George W. Bush zündet sich den Joint an. Er zielt mit dem Maschinengewehr auf den Sohn und Kind 1 und durchlöchert sie. Er raucht in Ruhe den Joint weiter, fächelt sich Luft mit dem Hut zu, räuspert sich.

George W. Bush: Ich bin George W. Bush, Präsident der USA auf Lebenszeit. Ich habe die Schwarzen satt. Wo man hinschaut – nur Nigger. Ich glaube, Amerika steht unter Stress – wegen denen. Daher muss ich dem amerikanischen Volk eine Menge Pillen verabreichen: gegen multiple Persönlichkeit, Angstzustände, gegen Schwindelanfälle und Brechreiz, gegen Fettleibigkeit, Anorexie, Bulimie, manische Depression und das Tourette- und Down-Syndrom.
Amerika ist ein Krebsgeschwür. Amerika muss operiert werden. Die Kinder sind sehr aggressiv wegen Manson. Wegen Marilyn Monroe und Robert de Niro. Wegen Mickey Mouse. Meine Frau trägt Slips mit Tom & Jerry. Von den Niggern nicht zu reden. Bei Eminem bleibt mir die Luft weg. Hab’ Asthma gekriegt. Darum rauche ich von Zeit zu Zeit einen Joint. Am liebsten würde ich sie alle durchvögeln, diese schwarzen Arschlöcher. Dabei will ich nur Frieden und Ruhe. Ich will Frieden in Bagdad, ich will Frieden in Kabul. Aber diese gestressten Kinder lassen mich nicht. Anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, spielen sie mit Bomben. Ich erschieße sie alle. Frieden für Amerika! Frieden für die ganze Welt!
Meine Damen und Herren. Ich habe gelogen. In Wirklichkeit bin ich Jesus Christus.

 

Szene 8

Auftritt Igor Smirnow, Präsident von Transnistrien.

Smirnow: Ich bin Igor Nikolaevici Smirnow, Präsident von Transnistrien und ein Vollidiot, ein größerer Vollidiot als alle beschissenen Präsidenten Moldovas zusammen. Sie kommen und gehen – ich bleibe. Wegen dem bisschen Anerkennung muss man doch nicht gleich Präsident eines Landes werden, das bereits existiert. Das ist absurd. Da kann ja jeder kommen und dich entmachten. Ich hab’s richtig gemacht – und mir gleich ein neues Land geschaffen. Irgendwelche Herdentiere findest du immer als Unterstützer. Du findest frustrierte Rentner, Vereinsamte, Desorientierte, für die bist du so eine Art Messias, oder wenigstens Mama und Papa, du musst nur was für dich tun, nicht für sie, Scheiße.
Ich brachte den Abschaum der Sowjetunion nach Transnistrien und rief mich zum Präsidenten aus. Es kamen die pensionierten Offiziere, es kamen die alten Nutten der Sowjetunion. Es kamen die Alkoholiker aus Kasachstan, die für Wodka ihre Mutter umbringen und ihre Geschwister vergewaltigen. Und sie kämpften für mich. Als alles zusammenzubrechen drohte und der Wodka ausging, halfen mir die Russen. Ich sagte, dass ich einer von ihnen bin und sie doch immer gewinnen. Sie haben die Moldawier wieder zurückgeschickt. Die Rumänen hätten denen helfen können – aber Rumänien mischt sich nicht ein. Die kauen noch immer an Ceauşescu und anderen Scheißproblemen herum. Die warten noch immer darauf, erleuchtet, verarscht und gehirngewaschen zu werden.
Also habe ich jetzt freie Hand. Ich bin sehr reich, der ganze Handel aus Osteuropa läuft über Transnistrien. Zigaretten, Alkohol, Waffen, Drogen. Ich besitze außerdem eine Fußballmannschaft, die, wer hätte das gedacht, die moldawische Meisterschaft gewonnen hat – und letztes Jahr sogar die Meisterschaft der GUS-Staaten, Scheiße. Gegen irgendjemanden muss sie ja spielen. Zum Dank erlaube ich Woronin nicht, seine Mutter zu besuchen. Zum Dank habe ich die rumänische Sprache verboten. Was soll der Scheiß, selbst die dummen moldawischen Rumänen bezeichnen ihre Sprache nicht als rumänisch, sondern nennen sie Staatssprache.
Ihre Schulen habe ich geschlossen, alles habe ich zerstört und vernichtet, bald auch sie. Weil ich es kann und weil es mir gefällt. Und niemand kann mich stoppen. Weder die Kommunisten noch die Kapitalisten.
Nachts träume ich. Die allerschönsten Träume, wie zu Zeiten des Krieges. Ich sehe den Dnjestr voller Blut. Ich stehe da mit einer Angel in der Hand. Ununterbrochen ziehe ich etwas aus dem Wasser. Mal eine Mutter und ein Kind, jeweils an einen Pfahl gebunden, mal ein Auge, Arme und Beine, einen Kopf, der Angelhaken verfängt sich im Fleisch, besonders häufig im Auge.
In einem großen Kessel koche ich Suppe. Ich esse und wachse. Sofort bin ich sehr fett. Es deprimiert mich, wenn ich dann aufwache und feststellen muss, dass die Wasser des Dnjestr wieder klar sind, gelegentlich ziehe ich nur noch einen Schädel aus alten Tagen heraus. Aber dafür habe ich keinen Nerv mehr. Ich muss etwas tun. Ich habe auch keine Lust mehr, nur um der guten alten Zeiten willen Leute bloß zu misshandeln.
Ich will Tod, viel Tod und viel Blut. Ach, am liebsten würde ich euch alle umbringen.

 

Szene 9

Vater und Sohn sitzen am Tisch. Der Vater ist betrunken. Der Sohn hat ein blaues Auge.

Vater: Was ist passiert?
Sohn: Nichts.
Vater: Wie nichts, du Idiot, und dein Scheißgesicht?
Sohn: Nichts, ein paar Typen haben mich auf der Straße angequatscht, wollten eine Zigarette …
Vater: Und hast du ihnen eine gegeben?
Sohn: Ja, habe ich gemacht. Dann haben sie gefragt, wie spät es ist.
Vater: Und hast du ihnen geantwortet?
Sohn: Habe ich gemacht. Dann haben sie gesagt, ich soll das Manson-T-Shirt nicht mehr tragen, haben mich verprügelt und mir Jeans, Turnschuhe und T-Shirt weggenommen. Das ist alles.
Vater: Selber schuld, du Idiot. Dann kannst du jetzt mit deinem nackten Schwanz rumlaufen. Ich bin pleite.
Sohn: Dann schickt uns Mama Geld.
Vater: Aha, deine Mutter.

Jemand klopf an die Tür.

Vater: Los, mach auf, hörst du nicht?

Der Sohn steht auf und öffnet die Tür. Auftritt Woronin mit Posttasche.

Woronin: Guten Abend. Sie haben einen Brief. Bitte.

Woronin sucht in der Tasche, holt einen zerknitterten, mit Tesafilm zugeklebten Brief heraus.

Woronin: (lächelnd) Aus Deutschland.

Woronin reicht dem Vater den Brief und will sich entfernen, während der Vater ihn unentwegt und bewegungslos anstarrt.

Vater: Setz dich.
Woronin: (stotternd) Aber, mein Herr, ich bin im Dienst, ich habe noch viele Briefe auszutragen … Ich würde ja gerne bleiben, aber es geht nicht, Sie entschuldigen mich, ich muss jetzt wirklich gehen …

Vater: Setz dich hin, du Hurensohn, hol dich der Teufel, dich und eure beschissene Post.

Woronin, eingeschüchtert, setzt sich.

Vater: Warum ist der Brief zerknittert? Hast du ihn gelesen, du Idiot?
Woronin: Wie können Sie so etwas denken, mein Herr, ich und lesen? Niemals!
Vater: Was hast du dann mit dem Brief gemacht? In den Arsch gesteckt und dann mit Tesafilm zugeklebt?
Woronin: Ich verstehe nicht, Genosse, wieso in den Arsch gesteckt?

Der Vater schaut ihn gelangweilt an.

Vater: Lies vor.
Woronin: Ich kann nicht.
Vater: Und ob du kannst.

Der Vater schenkt ihm ein Glas Wodka ein. Woronin nimmt das Glas und leert es in einem Zug.

Woronin: Guter Stoff.
Vater: Es reicht jetzt, lies vor!

Woronin beginnt stotternd zu lesen, dann verändert sich seine Stimme, wird feminin.

Woronin: Meine Lieben,
mir geht es sehr gut. Jetzt wische ich die Hintern alter Frauen nicht mehr umsonst ab. Jetzt nehme ich Geld dafür. Ich hab verstanden, das Wichtigste im Leben ist, bezahlt zu werden für das, was man tut. Vorher war mir das nicht klar. Vorher hat mir die Arbeit Spaß gemacht, mit oder ohne Bezahlung. Hier empfinde ich keine Freude mehr daran. Es gibt nur die Arbeit und das Geld. Das Geld wischt alles weg, denn es stinkt nicht.
Es tut mir leid, aber ich muss euch etwas mitteilen. Ich komme nicht mehr nach Hause zurück. Ich will das alles nicht noch einmal durchmachen. Und genau das würde passieren.
Mein geliebter Mann, bitte heirate noch mal und gründe eine andere Familie. Gemeinsam haben wir keine Chance mehr. Nicht, dass ich dich nicht mögen würde, im Gegenteil. Aber es hat sich zu viel Schmutz angesammelt, weder du noch ich kriegen die Probleme in den Griff, das weiß ich. Wir stecken bis zum Hals im Dreck.
Ich habe einen Mann kennen gelernt. Als Frau hat man es sehr schwer im Ausland. Ich will ihn nicht loben, nur so viel: Er hat mir sehr geholfen und tut es noch. Falls es dich tröstet – ich bin schwanger, das Kind verkaufe ich an eine reiche Familie. Sie haben uns Unterkunft und Verpflegung gegeben. Ich schicke euch weiterhin Geld, damit auch ihr zurechtkommt.
Auch wenn ihr mich verurteilt, und dazu habt ihr jedes Recht, sollt ihr wissen, ihr fehlt mir sehr, ich liebe euch.
Bitte verzeiht mir. Ihr habt keine Schuld, aber ich kann auch nichts dafür, dass ich hier bin.
Mama

Vater und Sohn beginnen schallend zu lachen. Woronin schaut sie an, dann lacht auch er.

 

Szene 10

Der Vater schläft und schnarcht. Er scheint sehr müde oder betrunken zu sein. Das Zimmer ist heruntergekommen, unaufgeräumt. An den Wänden hängen die Masken der Präsidenten. Der Sohn packt seine Sachen. Er holt seine Klamotten immer wieder heraus, schaut sie an, packt sie zurück in den Rucksack, holt sie wieder heraus. Er raucht und trinkt Wodka.

Sohn: So endet alles. Kaum fühlte ich mich frei, stopfte man mir das Maul.
Ich habe an die Freiheit geglaubt, die da kommen würde. Es war so verführerisch zu glauben, dass man nichts weiter als Gemüse war, eine Tomate, eine Gurke. Und dass sich alles ändern würde.
Es war schwer für mich. Weil ich an Lenin glaubte. Er opferte sich für mich, für unsere Kinder, denen die stinkende Bourgeoisie das Blut aussaugte und ihnen Märchen von Gott erzählte. Lenin hat gesagt: Was soll diese Scheiße mit Gott? Gott ist eine schwachsinnige Erfindung, um die Menschen zu kontrollieren. Lenin hat alle Priester nach Sibirien geschickt, Lenin hat alle verfickten Intellektuellen nach Sibirien geschickt. Aus dem Schweiß der Bauern, dieser Bestien, war so viel Schimmel gewachsen, dass Stalin geboren werden musste.
Wahrheit existierte nur bei uns, nur in der Sowjetunion. Weil bei uns die Sonne aufgeht. Die Leute arbeiteten und bekamen einen angemessenen Lohn. Es gab keine Bettler. Es gab keine Krüppel. Es gab keine Geisteskranken. Jeder war glücklich, Teil des großen Sowjetvolks zu sein. Es ist richtig, man konnte nicht so einfach in den Westen reisen, aber nur wenige verspürten den Wunsch dazu. Dafür konnten die Bomben problemlos die Grenze passieren. Die Sozialistische Sowjetrepublik Moldova war das Paradies der Sowjetunion. Scheiße, man nannte sie auch Solnecinaya Moldova, das sonnige Moldova.
Die UdSSR – ausgefickt. Lenin galt plötzlich als Krimineller, der nur Blödsinn geredet und nur Schlechtes vollbracht hätte. Es hieß, Kapitalismus sei im Grunde gut, Kapitalisten seien auch nur Menschen, die Frauen und Kinder keineswegs scheiße behandeln würden. Es hieß, Gott existiert doch. Am Ende glaubte ich es, obwohl es mir sehr schwer fiel. Der Rubel wurde abgewertet, dann kamen Lebensmittelmarken, die ebenfalls an Wert verloren und verschwanden, schließlich wurde der moldawische Leu eingeführt – Bruder des rumänischen Leu. Wir erfuhren, dass wir eigentlich Rumänen sind, nicht Moldawier. Wie fühlt sich das an, im Alter von fünfzehn Jahren gesagt zu bekommen, welcher Nationalität man angehört? Na? Sehr gut. Herzklopfen, Zuckungen, Alkohol, Schuss in die Venen, schnüffeln. Danach entspannst du dich und glaubst an etwas ganz anderes.
Du glaubst an Amerika, du glaubst an den Westen. Weil du daran glaubst, willst du es auch sehen. Du wächst, wartest ab, versuchst es. Du erfährst, dass es nicht so einfach geht. Weil sie Angst vor Bomben haben. Wie sollen sie uns empfangen? Vielleicht verstecke ich im Mund eine Granate, auf dem Rücken eine Kalaschnikow und ein Maschinengewehr auf dem Kopf. Kapitalisten haben Angst vor Bomben.
Weil die Rumänen, also wir, nein, eigentlich sie, also die Rumänen aus Rumänien, nicht aus Moldova, ohne große Probleme reisen können – willst auch du die rumänische Staatsbürgerschaft zurückhaben, die du in grauen Vorzeiten irgendwann einmal gehabt hast. Sie vertrösten dich, zwingen dich, Bestechungsgelder zu zahlen – du bist ein Stück Dreck für sie, weil sie die beschissene Staatsbürgerschaft haben und du – nicht. Anfangs reist du in ihr Land, das auch dein Land ist – mit dem Personalausweis. Dann mit dem Reisepass. Dann verbieten sie dir, länger als drei Monate am Stück zu bleiben. Und wenn du nicht locker lässt – bekommst du irgendwann deine Staatsbürgerschaft. Du wirst Staatsbürger deines eigenen Landes. Und wozu das alles? Damit du von einem Ghetto ins nächste fahren kannst, von wo du am liebsten auch abhauen würdest. Und wohin? Zum Erdbeerpflücken und Toilettenputzen. Denn die retardierten Westler, fett und dumm wie sie sind, halten sich für was Besseres, nur weil sie dort geboren wurden.
Ich brauche das alles nicht. Da habt ihr meinen rumänischen Pass.

Der Sohn holt seinen rumänischen Pass aus der Tasche. Er blättert ihn durch, zerreißt ihn und wirft ihn auf den Boden.

Sohn: Wir sind wirklich anders. Ihr respektiert uns nur dann, wenn ihr Angst vor uns habt. Ich habe an eure Märchen geglaubt, Schluss damit. Was habt ihr uns schon gegeben? Armut, Hass, Dreck, Pornos jetzt auch in rumänischer Sprache, Chips und Hotdogs. Prostitution, Menschen-, Drogen- und Waffenhandel. Religion. Mehr nicht.
Zum Teufel mit dem ganzen Scheiß!

Der Vater wacht auf, schaut zum Sohn.

Vater: Mit wem redest du da?
Sohn: Mit dem Sohn meiner Mutter, der nicht mein Bruder ist.
Vater: Wohin gehst du?
Sohn: Nach Moskau, zum Mausoleum.

Abgang Sohn.

Vorhang

(traducerea piesei în engleză, aici)

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